Heidelberg rühmt sich, der Standort einer der größten Passivhaussiedlungen der Welt zu sein. Dieses Bild offenbart bei genauerem Hinsehen jedoch einige Flecken auf der schönen Fassade.
Ein Gastbeitrag von Dr. Monika Gonser
In der Tat ist die Bahnstadt ein beeindruckendes und zukunftsweisendes Projekt: Wo bis 2009 noch die Reste des alten Güterbahnhofsgeländes zu besichtigen waren, leben inzwischen auf knapp
über 100 Hektar etwa 5.000 Menschen in 2.521 Wohnungen mit einer Wohnfläche von zirka 165.000 Quadratmetern.
Alle Gebäude des Stadtteils inklusive Büro-, Gewerbe- und Laborimmobilien – selbst das Multiplexkino im Stadtteil – sind im Passivhausstandard gebaut und werden aus einem eigens dafür gebauten Holz-Heizkraftwerk mit Energie versorgt. Aufgrund dieses Kraftwerks und der Halbierung der CO2-Emissionen durch den Passivhausstandard ist die Bahnstadt rechnerisch sogar ein Null-Emissions-Stadtteil.
Gute Konzepte
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde von Anfang an eine nachhaltige Energieversorgung mitgedacht. Während des Planungszeitraums Mitte der 2000er Jahre war der Passivhausstandard noch anspruchsvoll. Auch damals wurden schon durchgängig eine Energieberatung für Bauherren und Bauträger angeboten und Fördermöglichkeiten der öffentlichen Hand aufgezeigt sowie auch von
der Stadt selbst geschaffen. Zudem ist der gesamte Stadtteil mit sogenannten Smart Metern ausgestattet, die den EnergiekonsumentInnen mehr Kontrolle über den Verbrauch erlauben und den Weg zu einer effizienten Versorgung zeigen.
Berücksichtigt werden auch der Schutz bestimmter Arten und ökologisch wertvoller Flächen sowie eine natürliche Bodenfunktionen – etwa die Aufnahme und Abgabe von Regenwasser. Die zentrale Lage des Stadtteils am Heidelberger Hauptbahnhof sorgt für eine gute Anbindung an andere Städte der Region.
… für eine schöne Werbewelt
Mit diesen Fakten wirbt die Stadt Heidelberg auch in einer Informationsbroschüre für die Bahnstadt. Nicht nur die neuen BewohnerInnen und NutzerInnen des Stadtteils soll seine Nachhaltigkeit ansprechen, auch der Oberbürgermeister Eckart Würzner selbst wird nicht müde, national und international „sein“ modernstes Quartier vorzustellen. Die Bahnstadt ist das Modellprojekt, für das Heidelberg bereits verschiedene Nachhaltigkeitspreise bekommen hat und das anderen Städten als wichtiger Zukunftspfad vermittelt wird. Wir von Bündnis 90/Die Grünen Heidelberg sehen den Erfolg der Bahnstadt in Sachen Nachhaltigkeit und wissen ihn zu schätzen. Trotzdem hat dieses Modellprojekt auch Schattenseiten und Unvollkommenheiten, die bei der Diskussion der Bahnstadt als eine Good Practice nicht unerwähnt bleiben sollen.
Doch kein Stadtteil der kurzen Wege
Heidelberg hat sich für neu zu planende Quartiere und Stadtteile dem Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ verschrieben. Dazu gehört die Mischung von Wohnen und gewerblicher Nutzung. In der Bahnstadt ist dieses Konzept nur bedingt zum Tragen gekommen. Arbeitgeberbefragungen zeigen, dass Beschäftigte vor allem aus dem Umland einpendeln, was in der CO2-Bilanz des Stadtteils nicht auftaucht. Ursprünglich sollten hier genauso viele Menschen arbeiten wie wohnen. Dieser Sachverhalt dürfte auch mit den relativ hohen Mieten und Kaufpreisen der Bahnstadt zusammenhängen und dem insbesondere anfänglich geringen Anteil an gefördertem Wohnraum.
Zu späte und unzureichende Öffi-Erschließung
Die Diskrepanz zwischen Wohn- und Arbeitsbevölkerung, die ein Arbeiten „ums Eck“ nur für einen kleinen Anteil der Bahnstädter ermöglicht, wird noch forciert durch die vergleichsweise spät
erfolgte Anbindung der Bahnstadt an den Nahverkehr. Die beiden Straßenbahnlinien waren erst 2018 einsatzbereit – sechs Jahre nach dem Einzug der ersten BahnstadtbewohnerInnen.
Dadurch wurde gleich zu Beginn ein Mobilitätsverhalten geprägt – nämlich die Nutzung eines eigenen Autos –, das jetzt nur sehr mühevoll verändert werden kann. Viele Ortschaften aus dem Umland, aus denen die Beschäftigten der Bahnstadt einpendeln, sind außerdem noch immer nicht ausreichend an Bus und Bahn angeschlossen, weswegen auch die PendlerInnen noch häufig
Auto fahren. Damit entsteht nicht nur ein in der Planung unberücksichtigter CO2-Ausstoß, es wird auch mehr Fläche für Parkplätze benötigt.
Immer noch nicht Alltag
In der Bahnstadt leben aktuell etwa 5.000 Menschen. Ist sie einmal fertiggestellt, werden zirka 6.500 Menschen dort leben. Das sind ungefähr vier Prozent der Heidelberger Bevölkerung. Die Aufmerksamkeit, die die Bahnstadt in Heidelberg selbst, aber auch darüber hinaus bekommt, bekommt sie vor allem als Modellprojekt. Ein Lerneffekt, das Modellprojekt zu testen um es dann als Heidelberger Standard zu verankern, hat sich seitens der Stadt bislang nicht ergeben.
Zwar sind jetzt für die noch zu entwickelnden Stadtteile – ehemals von der amerikanischen Armee genutzte Konversionsflächen – wieder ambitionierte Energiestandards im Gespräch. Aber schon eine Festlegung auf den Passivhausstandard war für die beiden nach der Bahnstadt entwickelten Stadtteile Mark-Twain-Village und Hospital nicht in der Diskussion.
Entsprechende konzeptionelle Festlegungen wurden von uns Grünen mit viel Mühe und Widerstand eingebracht und fanden nicht durchgehend Anwendung. Dass die Bahnstadt nicht zu mehr Innovation in Heidelberg geführt hat, ist schade. Tatsächlich sollte sie für andere Kommunen aber ein Beispiel sein – in guter wie in schlechter Hinsicht. Für uns wird es weiter darauf ankommen, aus den Fehlern gut gemeinter Konzepte zu lernen. Dann wird es auch mit der Energie- und Wärmewende etwas.
Dr. Monika Gonser ist Kreisvorsitzende der Grünen in Heidelberg. Sie ist außerdem Mitarbeiterin im Bereich Interkulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg.
Dieser Artikel ist in der Fachzeitschrift für Alternative Kommunalpolitik (AKP) 6/2019 „Energie- und Wärmewende“ erschienen.
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