Von Donnerstag, 7. November bis Sonntag, 24. November 2019, finden in der Rhein-Neckar-Region wieder die „Trans*Aktionswochen Rhein-Neckar“ statt, die den „International Transgender Day of Remembrance“ am 20. November umrahmen. Während der Transgender Day of Remembrance auf trans*feindliche Gewalt und Diskriminierung aufmerksam macht, ist das Ziel der Trans*Aktionswochen für Trans*Personen und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten sowie deren Ausdrucksformen zu sensibilisieren und darüber aufzuklären.
Die Trans*Aktionswochen Rhein-Neckar werden auch in diesem Jahr maßgeblich vom Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg zusammen mit dem LSBTI-Beauftragten der Stadt Mannheim unterstützt. Die Besucherinnen und Besucher erwartet ein vielfältiges Programm aus Konzerten, Workshops, Vorträgen und Diskussionen. Der Eintritt ist für fast alle Veranstaltungen frei. Das komplette Programm sowie weitere Informationen gibt es online unter www.heidelberg.de/antidiskriminierung Trans*Aktionswochen Rhein-Neckar.
Die Trans*Aktionswochen wurden am 7. November, mit einem Fachforum zur Verfolgungs- und Emanzipationsgeschichte lesbischer, schwuler, bisexueller, transsexueller, transgender, intersexueller und queerer (LSBTTIQ) Menschen eröffnet.
Hier die Begrüßungsrede von Bürgermeister Wolfgang Erichson im Wortlaut:
LSBTTIQ-GESCHICHTE: ERKENNEN. AUFARBEITEN. DISKUTIEREN.
Sehr geehrte Prorektorin Professor Dr. Karin Schumacher (Vorrednerin),
sehr geehrte Ministerin Theresia Bauer,
sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates,
Sehr geehrte Frau Prof. Nolte,
sehr geehrter. Herr Prof. Pytha,
sehr geehrter Herr Dr. Baranowski
und sehr geehrte Frau Dr. Küppers,
liebe Engagierte in der LSBTTIQ-Community,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Studierende und Gäste,
Erkennen, Aufarbeiten, Diskutieren: Unter diesen Schlagworten steht unsere heutige Veranstaltung. Begriffe, die seit jeher zum Rüstzeug von Forschenden und Studierenden dieser Universität gehören. Auch den jüdischen, homosexuellen Studierenden Magnus Hirschfeld zog es für eine Zeit nach Heidelberg. Seine wissenschaftliche Neugier verband Hirschfeld mit einem ungebremsten Streben nach Freiheit und Gleichberechtigung.
Bereits im Kaiserreich gründete er das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee“, eine damals weltweit einzigartige Vereinigung, die sich dem Kampf für das Ende der Verfolgung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt auf die Fahnen verpflichtete. Später reichte er die erste Petition gegen den Paragrafen 175 – also dem Paragraphen, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte – im Reichstag ein, was zu heftigen Diskussionen führte, gründete Zeitschriften und schrieb persönlich das Drehbuch für den ersten Kinofilm, der jemals Homosexualität thematisierte. Von den Nationalsozialisten wurde er später verfolgt, als „Apostel der Unzucht“ verunglimpft, sein Institut zerstört und seine Bücher verbrannt.
In Heidelberg ist die Tatsache, dass Magnus Hirschfeld hier vor Ort auf verschiedene Weise Grundlagen für sein späteres Schaffen legte, erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Seine Geschichte und die Geschichte vieler anderer Menschen, die auf Grund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität von den Nazis verfolgt wurden, spielte in der Heidelberger Stadtgeschichte kaum eine Rolle. Zum ersten Mal gedachte die Stadt Heidelberg in diesem Jahr der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus.
Doch das Ende des Nationalsozialismus bedeutete nicht das Ende der Verfolgung. Obwohl im Grundgesetz der noch jungen BRD die Unantastbarkeit der menschlichen Würde an erster Stelle gesetzt wurde, wurden Menschen weiterhin über Paragraphen 175 wie Schwerverbrecher behandelt, ihre Namen von der Polizei auf berüchtigten Listen geführt, ihre Treffpunkte bespitzelt, ihre Karrieren vernichtet. Auch die Verfolgung und Unterdrückung lesbischer Liebe und Sexualität wurde fortgesetzt: neben ihrer Unterdrückung durch die repressive Geschlechterordnung der Nachkriegszeit erfuhren lesbische Frauen gesellschaftliche Ächtung, physische Gewalt, wurden Opfer psychiatrischer Behandlungen. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde ihnen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Erst 2017 hob der Bundestag die Urteile des ehemaligen Paragraf 175 auf und regelte die Entschädigung. Eine wichtige erste Geste – doch viele weitere Formen der Unterdrückung und Verfolgung bleiben bis heute unentschuldigt.
Umso wichtiger ist es, diesen Teil unserer Geschichte aufzuarbeiten. In diesem Prozess wird mehr aufgedeckt als nur Fakten und Daten. Es geht um die Sichtbarmachung von Leid und Verfolgung, aber auch um Emanzipation, Courage und das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit.
Während sich die großen historischen Museen und Archive erst langsam des Themas der Geschichte der lsbttiq-Bürger_innenrechtsbewegungen annehmen, war es die queere Community selbst, die dieses Erbe bewahrte. Es ist der Verdienst unermüdlicher, meist ehrenamtlicher Arbeit von lsbttiq-Archiven und Projekten wie der lesbisch-schwulen Geschichtswerkstatt hier in der Rhein-Neckar-Region, dass diese Geschichte bis heute lebendig erinnert wird. Stellvertretend für die vielen, in der lsbttiq-Community aktiven Menschen möchte ich in diesem Rahmen der Historikerin Ilona Scheidle und dem Historiker Dr. Christian Könne meinen besonderen Dank aussprechen!
Es ist von zentraler Bedeutung, dass das baden-württembergische Wissenschaftsministerium ein Forschungsprojekt fördert, dass sich mit den Lebenswelten, der Repression und Verfolgung von schwulen, lesbischen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren – kurz lsbttiq – Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus und der frühen Bundesrepublik in Baden-Württemberg auseinandersetzt.
Es ist mir eine große Freude, dass Herr Professor Wolfram Pyta vom Historischen Institut der Universität Stuttgart als Leiter des Forschungsprojektes heute Abend mit uns diskutieren wird. Durchgeführt wird das Projekt in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Es freut mich daher besonders, dass heute Abend Dr. Daniel Baranowski, der zuständige wissenschaftliche Referent für Geschichte und Erinnerung, heute anwesend ist. Das Land Baden-Württemberg fördert auch die Wanderausstellung „Sie machen Geschichte“, die heute zu sehen sein wird, die ihnen Einblicke in lsbttiq-Geschichte bietet. Sie haben im Anschluss der Veranstaltung Gelegenheit, Einblicke in die Ausstellung zu erhalten. Doch auch in Heidelberg sind wir in der glücklichen Situation, mit Ihnen, Prof. Dr. Karen Nolte, eine ausgewiesene Expertin der Medizin-, Körper- und Geschlechtergeschichte vor Ort zu haben, die sich mit dem Thema lsbttiq-Geschichte auseinandersetzt. Denn neben staatlicher Verfolgung waren es Medizin und Psychiatrie, die Menschen auf Grund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität Zwangsbehandlungen unterzog, sie wegsperrte, kastrierte oder verstümmelte.
Gerade in Zeiten einer Rückkehr völkischer Ideologien und autoritärer Sehnsüchte ist die Geschichte lesbischer, schwuler transsexueller, transgender, intersexueller und queerer Bewegungen von zentraler Bedeutung – als Geschichte von Bewegungen, die erst dazu beigetragen haben, Deutschland in der Nachkriegszeit zu einer lebendigen, offenen und vielfältigen Demokratie zu formen. Queere Geschichte muss noch mehr in die öffentliche Erinnerung rücken – muss selbstverständlich in städtischen Museen, im Geschichtsunterricht oder im öffentlichen Raum sichtbar werden.
Gleichzeitig erfahren Menschen in Heidelberg immer noch Diskriminierung und Gewalt bezüglich ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität. Wir als Stadt Heidelberg haben es uns zum Ziel gemacht, konsequent gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorzugehen.
Wichtige Schritte sind wir seit der Verabschiedung des städtischen Aktionsplans „Offen für Vielfalt und Chancengleichheit – Ansporn für alle“ gegangen worden:
- die Einrichtung des Runden Tisches sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
- die Schaffung einer Ansprechperson für queere Menschen beim Amt für Chancengleichheit
- fen Aufbau eines Beratungs- und Präventionsangebots durch PLUS e.V. und der Unterstützung queerer Jugendarbeit durch den Jugendtreff „Queer Youth“
- Dank dem Queer Festival Heidelberg, dem Dyke*March und vieler anderer Projekte und Initiativen gehört queeres Leben und queere Kultur mittlerweile auch in Heidelberg zum Stadtbild
Unterstützt wird unser Weg durch den Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte“ der baden-württembergischen Landesregierung, durch den in Heidelberg und der Metropolregion Rhein-Neckar Strukturen der Beratung, Schul- und Jugendarbeit gefördert werden.
Durch die Bewerbung Heidelberg als Mitglied im Rainbow City Network möchten wir diese Anstrengungen weiter intensivieren.
Die Förderung einer Kultur der Weltoffenheit und die Stärkung individueller Freiheitsrechte sind für uns zentraler Baustein einer nachhaltigen, zukunftsorientierten Stadtentwicklung.
Doch keine Zukunft ohne Kenntnis der Vergangenheit. Getreu dem Credo Magnus Hirschfelds „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ ist es unsere Chance, aus der Geschichte von Verfolgung und Emanzipation für das Heute zu lernen. Deshalb freue ich mich, dass Sie, liebe Podiumsrunde, und Sie, liebe Gäste, heute unserer Einladung gefolgt sind. Der Universität Heidelberg danke ich für die große Unterstützung in der Organisation der Veranstaltung in ihren Räumen. Besonderen Dank gilt der baden-württembergischen Landesregierung, allen voran dem Wissenschaftsministerium, dem Sozialministerium und der Familienforschung Baden-Württemberg, uns diesen Abend im Zeichen der LSBTTIQ-Geschichte hier in Heidelberg ermöglicht zu haben. Und begrüße herzlich als Vertreterin der Landesregierung Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst.
Comments are closed.