Stattblatt von Stadträtin Dr. Sandra Detzer vom 15.08.2018
Vergangene Woche haben wir im nahen Schwetzingen über Heimat diskutiert. Mit unserer Grünen Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock, dem Antisemitismus-Beauftragten des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, dem Grünen Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz und rund 200 Interessierten. Ganz bewusst haben wir uns für dieses Thema entschieden. Weil es vielleicht nicht auf den ersten Blick grün ist. Weil man vielleicht denken könnte: Um Gottes Willen, jetzt fangen die auch noch damit an. Ja, tun sie. Weil Heimat Herzenssache ist und verdammt viel mit dem Zusammenhalt in dieser Gesellschaft zu tun hat. Ja, Heimat ist subjektiv, bunt und schön. Kein Staat der Welt kann erzwingen, dass sich Menschen auf seinem Territorium heimisch fühlen. Für manche ist Heimat immer dort, wo sie sich wohl fühlen. Für andere, wo ihre Familie lebt und gute Freunde. Bei jedem ist die Heimat anders.
Warum diskutieren wir gerade so viel über Heimat? Warum werden Heimatministerien gegründet und Diskussionen geführt über Sinn und Unsinn von Gebirgstapeten? Weil es in einer komplexen und unübersichtlichen Welt, einer ausdifferenzierten Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensweisen ein gestiegenes Bedürfnis nach Halt, Vertrautheit und gemeinsamer Identifikation gibt. Digitalisierung, Globalisierung, Migration: diese Megatrends nagen am Wir-Gefühl unserer Gesellschaften und lassen den Einzelnen häufig im Ozean der Eindrücke zurück. Woran hält man sich, wenn nichts mehr hält? Hier schafft Heimat gemeinsame Identifikation. Heimat bedeutet Geborgenheit. Heimat bietet Halt. Peter Unfried fasst es schön zusammen: Der oftmals gefühlte Heimatverlust ist im Kern ein Ich-Wir-Verlust. „Es geht nicht um das Fehlen von Volksmusik, Natur oder des Schweinsbratens von der Oma: Es geht darum, dass man sich selbst nicht mehr als Teil von etwas sieht und verorten kann.“
Dieses Gefühl ist zutiefst politisch. Wenn Menschen sich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft fühlen, kommunizieren sie, verhalten sie sich, wählen sie anders. Nicht umsonst wird die Heimat oft von Rechten genutzt, um ein „Wir“ gegen „Die“ zu konstruieren. In Schwetzingen haben einige rechte Störer versucht, unsere Veranstaltung zu torpedieren. Es ist ihnen nicht gelungen. Wir ertragen Meinungsvielfalt und treten rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und rückwärtsgewandten Kräften klar entgegen. Unsere grüne Vorstellung von Heimat grenzt niemals aus. Wir Grüne wollen den Menschen Heimat ermöglichen, ohne sie ihnen überzustülpen. Wir wissen, dass wir das Gefühl nicht erzwingen können. Aber wir können es fördern. Grüne Politik macht Heimat leicht. Indem sie natürliche Lebensgrundlagen schützt und die Umwelt erhält. Und indem sie Institutionen und Infrastrukturen der Gesellschaft stärkt, die dem/r Einzelnen Chancen und Teilhabe garantieren. Damit am Schluss die Gleichung jeder/s Einzelnen aufgeht.
Heimat braucht Natur- und Klimaschutz
Warum braucht Heimat den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen? Für viele ist das Gefühl der Heimat mit einem konkreten Ort verbunden. Der Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Der Ort, an dem sie schon seit längerer Zeit leben. Heimat ist nach diesem Verständnis ein fester, geografisch definierbarer Raum: die dunklen Tannen des Odenwalds, die sanfte Schönheit des Neckartals, die grünen Weinberge der Bergstraße oder die stolze Kulisse des Heidelberger Schlosses. Gerade in Baden-Württemberg teilen viele Menschen dieses Heimatverständnis. Heimat ist für sie gekennzeichnet durch vertraute Landschaften, Städte und Dörfer, Bräuche und Traditionen. Der Klimawandel bedroht unsere Heimat. Denn die Landschaften und unsere Natur werden sich bei einer fortschreitenden Klimaerwärmung unweigerlich verändern. Sie werden sich so verändern, dass sie eben nicht mehr das darstellen, was die Menschen empfinden: Vertrautes und Gewohntes. Heimat erhalten und der Kampf gegen den Klimawandel sind aus dieser Perspektive zwei Seiten derselben Medaille. Für uns Grüne ist deshalb der Erhalt unserer Landschaft, deren biologische Vielfalt und Schönheit eine tragende Säule, Heimat zu erhalten. Heimatschutz ist nicht das Abhören durch Geheimdienste und schnelleres Abschieben, wie das manchem vorschweben mag. Heimat zu erhalten braucht in erster Linie Natur- und Klimaschutz und damit den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen.
Heimat ist Teilhabe
Heimat entsteht vom „Ich“ im „Wir“. Heimat braucht Dabeisein, Drinsein, Dasein. Anders ausgedrückt: Heimat braucht Teilhabe. Teilhabe an den Sommerabenden auf der Neckarwiese, an der Schlossbeleuchtung, am Kirchenchor oder am Poetry Slam. Teilhabe auch durch Einkaufen gehen können vor Ort vom Boxberg bis Handschuhsheim, den nächsten Arzt erreichen, arbeiten. Auch arbeiten können, weil die Kinder gut betreut sind. Teilhabe durch Mobilität, durch Sicherheit oder einfach, weil Ehrenamtliche Geflüchteten die Hand reichen.
Teilhabe wird oft gewährleistet durch ein starkes ehrenamtliches Engagement. Durch Vereine, Kirchen, Verbände. Dieses Ehrenamt ist für den Staat unbezahlbar, wir haben es zuletzt an der Flüchtlingskrise gemerkt. Eine Schlussfolgerung dieser Zeit ist aber auch: Der Staat darf das Ehrenamt nicht ausnutzen, er muss selbst ein starkes Netz der Teilhabestrukturen gewährleisten. Teilhabestrukturen sind zunächst die klassischen Institutionen der öffentlichen Hand wie Parlamente und Gerichte, Ordnungsämter und Polizei. Teilhabestrukturen sind aber auch öffentliche Infrastrukturen im weiteren Sinne wie Zugang zu Kinderbetreuung und Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen, schnellem Internet und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge vor Ort wie Strom, Wasser, Einkaufsmöglichkeiten.
Diese Teilhabestrukturen – funktionierende öffentliche Institutionen und gute öffentliche Infrastrukturen – entscheiden darüber, ob Bürger*innen und Bürger das Gefühl haben, in einem wohl geordneten Gemeinwesen zu leben. Sie entscheiden, ob das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft weiter gilt, ob Stadt und Land sich im Gleichklang entwickeln und Menschen aus allen Teilen der Welt von Geflüchteten zu Mitbürger*innen werden können.
Weil sie die Teilhabe der Menschen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, Benachteiligungen ausgleichen und Zusammenkunft fördern, schaffen staatliche Institutionen und Infrastrukturen die Grundlage, dass sich Menschen heimisch fühlen. Deshalb treiben wir Grüne den Ausbau guter Kita-Plätze voran, schaffen mit der Gemeinschaftsschule die Chance auf längeres gemeinsames Lernen, streiten für die Anerkennung der Breitbandversorgung als Daseinsvorsorge und wollen zum Beispiel auf der regionalen Gesundheitskonferenz Rhein-Neckar/Heidelberg klären, wie ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung und Pflege auch im demographischen Wandel zu gewährleisten ist. Menschen von Hemsbach bis St. Leon-Rot, von Hockenheim bis Eberbach sollen ihre Heimat finden können, ohne sich abgehängt und ausgegrenzt zu fühlen. Wer Heimat liebt, nimmt den Auftrag des Grundgesetzes ernst: Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Das ist der Grüne Anspruch. Und unser Angebot an alle, die ein „Ich“ im „Wir“ wollen, eine Heimat in Baden-Württemberg.
Stattblatt statt Stadtblatt: Das offizielle Stadtblatt der Stadt Heidelberg macht in den Sommerferien eine Pause und damit auch die „Stimmen aus dem Gemeinderat“, wo sich die Grüne Gemeinderatsfraktion jeden Mittwoch zu kommunalen Themen äußert. Da die Grüne Fraktion aber auch im Sommer aktiv ist und es auch jetzt genug zu berichten gibt, veröffentlichen wir jeden Mittwoch unseren Stattblatt-Beitrag hier auf unserer Homepage als auch über Facebook und Twitter.
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