Bürgermeister Wolfgang Erichson hielt das Grußwort anlässlich des Neujahrsempfanges des Stadtteilvereins Handschuhseim am 6. Januar 2020 im Rottmannsaal.
Hier finden Sie die Rede im Wortlaut:
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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Genthner,
sehr geehrter Herr Grieser!
Im Namen unseres Oberbürgermeisters Prof Dr.Würzner, meiner Kollegen dem ersten Bürgermeister Jürgen Odczuk, Dr. Joachim Gerner und Hansjürgen Heiss möchte ich Ihnen allen ein gesundes, friedvolles 2020 mit persönlicher Zufriedenheit wünschen.
Ich hoffe, dass Sie schöne Festtage verbracht haben und vielleicht geht es Ihnen wie mir: In der Ruhe der Tage, in dem Zusammensein mit Freunden und der Familie Lieben ist mir wieder einmal bewusstgeworden, wie dankbar ich bin. in Heidelberg leben zu dürfen. Unserer Stadt geht es gut und ich behaupte, dass es auch unserem Land gut geht.
Alles in allem können wir in unserem Land auf ein gutes Jahr 2019 zurückblicken. Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel ist so niedrig wie zuletzt vor 30 Jahren. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig machen sich viele von uns durchaus Sorgen, wenn sie an die Zukunft denken. Das letzte Jahr war wieder eines von zum Teil atemberaubenden Veränderungen. Es spricht wenig dafür, dass das Tempo dieser Veränderungen im Neuen Jahr nachlassen wird und das löst aber eben auch Sorgen aus.
Viele Menschen in unserem Land machen sich Gedanken wegen des Klimawandels. Viele Landwirte bangen derzeit um ihre wirtschaftliche Zukunft, andere Bürgerinnen und Bürger machen sich umgekehrt Gedanken über den Artenschutz und die Wasserqualität. Denn die Welt verändert sich. Das Klima auf der Welt verändert sich.
Zwar wurden wir in Deutschland und Heidelberg von Katastrophen im letzten Jahr verschont (man denke nur an die verheerenden Waldbrände die immer noch in Australien wüten), aber auch wir haben gespürt, dass der Klimawandel bei uns stattfindet. Unsere Landwirte kämpften im Sommer mit der Dürre. Die Flüsse hatten Niedrigwasser. Es gab hohe Temperaturen bis in den November, viele Arten verschwinden ganz leise.
Und wir müssen uns darauf einstellen, dass die Folgen noch stärker werden. Es ist nicht die Frage ob der Klimawandel kommt, sondern ob wir bereit sind uns stärker um unsere Umwelt und Natur zu kümmern. Gesunde Luft, sauberes Wasser, Lebensraum für Tiere und Pflanzen und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sind ein Erbe, das unsere Generation erhalten hat. Wir sind es genauso unseren Kindern und Enkeln schuldig, dass wir ihnen diese Welt genauso übergeben, wie wir sie vorgefunden haben. Nachhaltigkeit ist eine Aufgabe, die das ganze Jahr jeden einzelnen von uns betrifft.
Und daher haben der Gemeinderat und die Stadtverwaltung in Heidelberg mit den 30 Punkten des Klimaschutz Aktionsplans konkrete Ziele und Maßnahmen beschlossen um uns gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern diesen Herausforderungen zu stellen. Gleichzeitig haben wir erlebt, dass hinter uns auch ein Jahr liegt, in dem sehr viel über die Entfremdung zwischen Politik und Bürgern, fehlendem Vertrauen – ja Misstrauen – gesprochen wurde. Nicht zufrieden sind viele Bürger offenkundig mit dem, was die politischen Mandatsträger vor Ort tun bzw. nicht tun. Wer die Entwicklung – nicht nur in Heidelberg – verfolgt, der wird an der Erkenntnis nicht vorbeikommen, dass allgemeine Politikverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung deutliche Signale der Unzufriedenheit der Bürger mit ihren Repräsentanten sind.
In der Tat sind im Politikstil der Gemeindevertretungen in den größeren Städten und Gemeinden – auch in Heidelberg – im Laufe der Jahre deutliche Veränderungen zu registrieren. Während früher die kommunale Politik durch eine ausgeprägte Konsensorientierung geprägt war, folgt auch die lokale Politik heute immer mehr einem Konfliktmodell. Um dieses verlorene Vertrauen der Bürger wieder zurückzugewinnen, plädieren immer mehr politische Akteure für mehr Bürgerbeteiligung in den Städten und Gemeinden. Aber führt denn mehr Bürgerbeteiligung in Zeiten zunehmender Komplexität gepaart mit den vielfältigen Möglichkeiten der modernen Kommunikation zu besseren Lösungen? 91% der Heidelbergerinnen und Heidelberger halten es für sehr wichtig (49%) beziehungsweise wichtig (42%), dass sich die Bürger und Bürgerinnen an Planungen von Vorhaben und Projekten der Stadt bei Veranstaltungen oder im Internet beteiligen können. Dies gilt quer durch alle sozialen oder demografischen Gruppen. 44% der ab 16-jährigen Heidelbergerinnen und Heidelberger geben an, selbst schon einmal an einer Veranstaltung zur Bürgerbeteiligung teilgenommen zu haben oder im Internet bei einem Beteiligungsprojekt mitgemacht zu haben. 58% sagen, dass sie mit der Bürgerbeteiligung, wie sie in Heidelberg zurzeit stattfindet, sehr zufrieden beziehungsweise zufrieden sind. 24% sind weniger und 2% gar nicht zufrieden. 16% erlauben sich kein Urteil. Es ist also unstrittig das sich die Mehrheit der Bürger wünscht, dass die Politik vor Ort stärker einen Interessenausgleich zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen vornimmt. Seit Einführung im Jahr 2012 fanden etwa 100 Projekte mit Bürgerbeteiligung statt – vom kleinen Bebauungsplan, über kleine und große Verkehrsprojekte und Angebote der Kinder- und Jugendbeteiligung bis hin zu stadtweiten, großen Verfahren wie dem Konferenzzentrum, der Konversion oder dem Masterplan Neuenheimer Feld. Mit der Bürgerbeteiligung und der sehr frühzeitigen Information macht die Stadtverwaltung transparent in welche Richtung Planung gehen sollen und die Vertreter möglichst aller erkennbaren Interessen sind aufgerufen, sich einzubringen.
Transparent werden aber auch Entscheidungsprozesse, insbesondere die Frage welche Anregungen aufgegriffen werden und welche nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass hier nicht immer alle zufrieden sein können – berechtigt ist aber auch die Forderung öffentlich zu machen, welche Vorstellungen sich nicht durchsetzen konnten und warum. Transparent werden aber auch Versuche von denjenigen, die inhaltlich im Gemeinderat oder in der Gesamtbevölkerung nur schwach vertreten sind, oder sich nicht durchsetzen konnten und die Bürgerbeteiligung – oder genauer gesagt ihre Interpretation dortiger Diskussionen – nutzen, um ihren eigenen Sichtweisen über diesen Umweg doch noch durchzusetzen. Es ist gut, dass die Bürgerbeteiligung auch solche Prozesse transparent macht und es wäre noch besser, wenn die politischen Vertreter sich jeweils ein eigenes Bild von dem machen, was in der Bürgerbeteiligung passiert, um nicht auf teils doch sehr subjektive Wahrnehmungen einzelner Akteure aus der Bürgerschaft angewiesen zu sein.
Was allerdings immer wieder verkannt wird ist, dass Vorhaben (insbesondere diejenigen der komplexeren Art) erst einen ausreichenden Reifegrad erreicht haben müssen, der nur durch sorgfältige Vorarbeiten in kleineren Kreisen unter Hinzuziehung des unverzichtbaren Sachverstandes und sorgfältige Berücksichtigung und Abwägung des „Für“ und „Wider“ erreicht werden kann. Verfrühte (Medien-)Öffentlichkeit und die leider häufig damit verbundene Emotionalisierung und Personalisierung von Sachverhalten führen häufig dazu, dass Vorhaben, die im überwiegenden Allgemeininteresse eigentlich positiv zu bewerten wären, erst gar nicht die Chance einer objektiven und sachangemessenen Bewertung bekommen. Dies ist eine negative Folge die ich in der Entwicklung des Verhältnisses von Politik und Medien sehe. Es ist eine Tendenz zur wachsenden Oberflächlichkeit, denn differenzierte Sichten, nuancierte Wertungen oder nachdenkliche Äußerungen, die für das Verständnis und die Meinungsbildung eigentlich zwingend erforderlich sind, schaffen es entweder gar nicht in die Berichterstattungen oder werden völlig verkürzt oder falsch wiedergegeben.
Alt-Bundespräsident Johannes Rau hat diese Entwicklung vorausgehen als er geschrieben hat: „Ich halte es für eine der wichtigsten Aufgabe, den Menschen komplexe Zusammenhänge verständlich zu vermitteln… Es mag zwar bequemer sein, Konflikte zu personalisieren und sie damit auf die Frage „Wer gegen wen?“ zu reduzieren… Das Ergebnis ist aber auf Dauer verheerend für unsere Demokratie.“
Sicher es erscheint vordergründig als faszinierende Perspektive: Man kommt nach Hause, setzt sich an den Computer, gesellt sich zum „virtuellen Dorfplatz“, diskutiert möglicherweise ein wenig mit anderen und stimmt dann ab. Eine richtige Mitmach-Politik. Es gibt ja heute schon vielfach die Möglichkeit dies mit Hilfe eines „Like“ oder „Dislike“-Buttons zu tun: Man drückt dann für oder gegen niedrigere Steuern, Einsätze der Bundewehr im Ausland, mehr Kindergeld oder die Maut. Man lebt in dem Irrglauben: Umgesetzt wird dann das, was die Mehrheit entschieden hat.
Bei Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit findet sich dann aber eher die folgende Analyse: Die inhaltliche Qualität der politischen Debatte im Netz hat sich verschlechtert, die Diskurse sind leider immer populistischer geworden. Zum Teil werden auch die Grenzen des „guten Geschmacks“ weit überschritten, was nicht unerheblich der Möglichkeit zur Anonymität im Netz geschuldet sein dürfte.
Ich fordere für uns alle eine neue Ehrlichkeit und den Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und weniger auf Umfragen und öffentliche Gefühlslagen Rücksicht zu nehmen. Das mag naiv und idealistisch klingen, wird dadurch aber nicht falsch. Zu dieser Ehrlichkeit gehört auch das Eingeständnis, dass die komplexen Probleme nicht immer mit mehr Partizipation der Bürger zu lösen sind, dass es bei vielen Themen keine einfachen Antworten gibt, dass man manches einfach nicht weiß oder schwer einschätzen kann und dass es bei politischen Entscheidungen oft Gewinner und Verlierer gibt; dass nicht immer alles besser wird; dass es oft ohne Kompromisse und Interessenausgleich nicht geht und dass bei vielen Themen Zeit für Analysen und Beratungen notwendig ist.
Schließlich braucht es auch den Mut zu richtungsweisenden, manchmal unpopulären Entscheidungen, deren Richtigkeit und Wert sich erst in der Zukunft beweisen kann.“
Über den Sinn und die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung wird heute niemand ernsthaft streiten wollen. Es ist allerdings ein Irrglaube anzunehmen, dass Bürgerbeteiligung ein Verfahren garantiert, an dessen Ende ein Ergebnis steht, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind. Denn es geht eben nicht nur um das Ringen zwischen Staat und Bürgerschaft, sondern auch innerhalb der Bürgerschaft gibt es immer unterschiedliche Interessen. Es gibt nicht das einzige Bürgerinteresse; es gibt mehrere davon und die Pflicht von verantwortungsvoller Politik ist, am Ende des Prozesses abzuwägen und zu entscheiden. Wenn es uns nicht gelingt dieses Grundverständnis von Entscheidungsprozesses wieder zu akzeptieren, sehe ich das große Problem, wie sich überhaupt noch Menschen gewinnen lassen sollen, die sich als Verantwortungsträger, z.B. im Gemeinde- oder Bezirksbeirat engagieren wollen. Ich sehe die Gefahr, dass sich die anfängliche Euphorie in der Bereitschaft zum Mitgestalten schnell in Frustration umwandelt, wenn ständig die Gefahr besteht, nicht nur „medial ans Kreuz geschlagen“ zu werden.
Es gibt eine jüngere Studie, aus der wir entnehmen können, dass in jeder zwölften Gemeinde Amtsträger Opfer von Angriffen geworden sind, entweder als Bürgermeister oder Gemeinderäte oder auch als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Verwaltung. Offenbar stehen kommunale Amtsträger, weil sie eine Tätigkeit ausüben, die ganz besonders viel Kontakt zu den Menschen, ganz besonders viel Bürgernähe braucht, besonders im Brennpunkt . Von kommunalen Funktionsträgern weiß man, wo sie wohnen, wo sie ihr Auto abstellen. Sie müssen präsent sein auf Veranstaltungen, auf Festen, und werden offenbar ganz gezielt Opfer von Angriffen – und sind jetzt häufiger Opfer von Angriffen geworden.
Jede Demokratie lebt aber davon, dass es Menschen gibt, die sich für andere Menschen engagieren, für gemeinsame und öffentliche Angelegenheiten, für das Gemeinwesen. Das tun tausende von Hauptamtlichen und zehntausende von ehrenamtlichen Mandatsträgern in den Kommunen. Sie sind das Gesicht und die Stimme der Demokratie. Und deshalb sind das Menschen, die unseren Respekt verdienen, unsere Anerkennung und, wo nötig, auch den Schutz. Vor allen Dingen brauchen sie aber in dieser Zeit die Rückdeckung aus der ganzen Breite der Gesellschaft. Wir müssen wieder lernen nach ausführlichen Diskussionen Entscheidungen zu akzeptieren – auch und gerade, wenn ein Ergebnis jemandem gerade mal nicht passt. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die sich möglicherweise nicht durchgesetzt haben, im Nachhinein das gesamte Beteiligungsverfahren deshalb per se in Frage stellen können. Deshalb werden wir Bürgermeister mit dem Oberbürgermeister an der Spitze gemeinsam mit einer kompetenten Verwaltung auch im neuen Jahr alle Kompetenzen in Heidelberg und in seinen Stadtteilen zum Wohle der gesamten Bürgerschaft zu nutzen. Dabei werden wir sicherlich auch Fehler machen und wir werden es sicherlich nicht alles Recht machen können: Aber gerade wir in den in den Kommunen können zeigen das die tagtägliche Balance von Nähe und Distanz, Versöhnlichkeit und Unvereinbarkeit dennoch zu einem Miteinander führen kann.
Wir brauchen doch nur auf unsere Stadtteilvereine schauen, die mit ihren vielen ehrenamtlichen Frauen und Männern, tagtäglich vorleben und zeigen, wie man Menschen zusammenführt und wie man das Gemeinschaftsgefühl stärken kann. Und möchte daher Ihnen Herrn Genthner und Ihren Mitstreitern/ innen dafür danken, dass sie sich unermüdlich für Ihr Handschuhsheim engagieren und uns auch heute wieder so einen wunderbaren Neujahrsempfang ermöglichen.
Was ist der beste Weg mit Fragen umzugehen, die ja zum Teil völlig gegensätzlich sind? Meine Antwort ist: Eine kluge Mischung von Zuversicht und Zusammenhalt, denn zu einer guten Diskussion gehört auch die Fähigkeit, zuzuhören. Und das passiert nicht mehr. Außerdem reagieren wir viel zu reflexartig. Auf alles muss sofort reagiert werden.
Ich wünsche daher zukünftig wieder eine Kultur der Achtsamkeit und des Respektes für den Mitmenschen und des Zuhörens.
Ich glaube man sollte sich einfach etwas mehr Zeit nehmen, um überlegt zu reagieren und alles im allem einfach ein wenig mehr Gelassenheit. Das würde uns allen politisch aber auch gesellschaftlich guttun. Und noch etwas ist mir wichtig: Wir haben gemeinsam etwas zu verteidigen – eine freie, tolerante und respektvolle Gesellschaft. Diese Werte sind das beste Rezept gegen Angst- und Miesmacherei, gegen Aggression und Ausgrenzung. Beleidigungen oder gar Übergriffe zum Beispiel gegen Polizeibeamte, Rettungshelfer oder Mandatsträger müssen wir zusammen klar und deutlich zurückweisen!
Wenn wir in diesem Sinne den Zusammenhalt in Heidelberg pflegen, werden wir viel schaffen können in und für unsere Stadt. Dazu brauchen wir mehr denn je den Mut zu neuem Denken, die Kraft, bekannte Wege zu verlassen, die Bereitschaft, Neues zu wagen, und die Entschlossenheit, schneller zu handeln, in der Überzeugung, dass Ungewohntes gelingen kann.
Ich bedanke mich bei allen, die sich heute schon dafür engagieren und wünsche mir, dass sich noch viele andere anschließen werden. Zusammen können wir uns mit Zuversicht an die Arbeit im Neuen Jahr machen.
In diesem Sinne wünsche Ihnen alles Gute, Gesundheit, Wohlergehen und viele fröhliche Momente mit Ihren Lieben.
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